Mit meiner demenzkranken Mutter im Café

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Erfahrungsbericht von Hanni Alberts

Es war mal wieder einer der Momente, wo ich am liebsten im Erdboden versunken wäre.....

Nach einem mehr oder weniger geglückten Kaffeetrinken in einem Café, begleitete ich meine demenzkranke Mutter zum stillen Örtchen. Ich war schon froh, dass bis jetzt alles ohne Probleme verlaufen war: Mama hatte schmatzend ihre Torte verdrückt und ich ihr die Kaffeetropfen auf den Kleidungsstücken abgewischt. Wenn wir uns unter ganz „normalen“ Menschen aufhielten, hatte ich meistens die Ambition, nicht aufzufallen und in der Gemeinschaft als Gleiche unter Gleichen zu gelten. Bis zu dem Zeitpunkt waren wir jedenfalls nicht im Mittelpunkt des Interesses der anderen Cafébesucher, was sich mit dem Gang zur Toilette schnell ändern sollte. 
 
Zuerst lief alles prima, die Damentoilette war menschenleer, Mama hatte mit meiner Hilfe auf einer der zwei Toiletten Platz genommen und ich quetschte mich wieder aus dem klitzekleinen Raum in den größeren Vorraum mit Waschgelegenheit. Ich achtete stets darauf, dass die Tür einen Spalt offen blieb, damit sie sich nicht einschloss.  
 
„Ich mache rechts und links und wieder rechts und links!“, rief sie gerade lauthals, als zwei Damen zur Tür hereinkamen. Ich lächelte sie, um Verständnis bittend, milde an. Doch sie nahmen weder Notiz von mir noch vom Ruf meiner Mutter. Als eine der Damen die zweite Toilette besetzte und die andere gelangweilt ihre Frisur im Spiegel betrachtete, kam es zum öffentlichen Showdown.
 
Meine Mutter trat aus ihrer Toilette heraus, vollständig angezogen, jedoch nicht in der richtigen Reihenfolge. Wir beide starrten sie an: ihre Unterhose hatte sie über die Hose gezogen. Ich kannte diese Handlungsweise schon, jedoch nicht in der Öffentlichkeit. Mein Ärger auf mich selbst, nicht an ihre neuen Routinen gedacht und ihr geholfen zu haben und meine Schamesröte stiegen gleichzeitig in mir hoch. Die Dame neben mir stand mit leicht geöffnetem Mund und versuchte, ihre Fassung zu bewahren. 
 
„Du hast wieder die Hosen verkehrt herum angezogen!“, zischte ich sie an und begleitete sie wieder zur Toilette, um der korrekten Kleiderordnung Rechnung zu tragen. Meine Mutter ließ sich verständnislos, doch bereitwillig von mir in der Toilette umziehen. Noch während ich sie richtig einkleidete, taten mir meine Worte leid und ich nahm sie in den Arm, denn es waren die Symptome ihrer Krankheit, die mich berührten.
 
Beim Verlassen der Toilette nickte mir die andere Dame mit gesenktem Blick mitleidsvoll zu und ich war froh, dieser peinlichen Situation entronnen zu sein.
 
Im Nachhinein hätte ich mir eine behindertengerechte Toilette mit Waschbecken und Platz für zwei Personen gewünscht, um meiner Mutter auch beim Toilettengang in der Öffentlichkeit besser zur Seite zu stehen.
 
Ich schildere diese kleine Episode aus meinem Pflegealltag, um vielen Menschen die Demenzkrankheit und ihre Auswirkungen in der Öffentlichkeit näher zu bringen.
 
Zur Autorin: Hanni Alberts, geboren 1961, ist Diplom-Ökonomin und arbeitet als freie Autorin. Mit "Krise? - Ja, bitte!" hat sie einen Lebenshilfe-Ratgeber für Menschen in Krisensituationen, insbesondere Angehörige von Menschen mit einer demenziellen Erkrankung als E-Book veröffentlicht. Näheres unter: http://www.hannialberts.de