Die Medienwelt assauert

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Nicht mehr leugnen müssen – ein neuer Ton?

Endlich hat man die passende Besetzung für eine neuartige Variante des Alzheimer-Dramas gefunden. Mitten im Hype ließ sich auch ein nicht medial gesetzter, anderer Ton vernehmen. Eines meiner im 14tägigen Turnus anstehenden samstäglichen Rituale ist  „mit Vater Sportschau gucken“. Und da waren sie dann groß im Bild, bei der Zusammenfassung des Heimspiels des FC Schalke in der Arena: riesige Transparente mit dem Konterfei des ehemaligen Club-Managers. „Stark bleiben, Rudi“ – so die Aufschrift. Auch wenn Fußball nicht unbedingt meine Welt und das Macho-Gehabe eines Rudi Assauer in seinen glanzvollen Tagen gewiss nicht mein Ding sind: Mir scheint, dass die Fahnen in der Schalke Arena ein Gelingen jenes Befreiungsschlags anzeigten, auf das Rudi Assauer mit seiner Entscheidung für ein mediales „Coming out“ gehofft haben mag. Sich nicht mehr verstellen, nicht mehr leugnen müssen. Nicht mehr vorgeben müssen, dass alles „in Ordnung“ sei. Und vielleicht auch: nicht völlig herausfallen, wenn Dich ein so harter Schlag trifft, wie es eine Alzheimer-Diagnose fraglos ist. Vielmehr weiter dazugehören. Sich nicht schämen müssen, weil „die Birne“ nicht mehr wie früher funktioniert.

Im Fall Assauer erweisen sich die Medien in unterschiedlichem Maß lernbereit. Nicht ganz unerwartet: Abweichungen von den etablierten Stereoptypen sind bei den ganz Großen am wenigsten ausgeprägt. Nehmen wir das Paradebeispiel, die ZDF-Sendung "37° - Ich will mich nicht vergessen", deren Entstehung über ein Jahr geheim gehalten wurde und von deren Ausstrahlung die Redakteurin sich laut Interview einen Durchbruch in Sachen „Ent-Stigmaisierung“ der Demenz-Thematik erhofft hatte. Auffällig, wie die Kamera im Beitrag zwar nahe bei Assauer bleibt, aber nie seine Perspektive einnimmt. Allerdings auch kaum ein Gegenüber ist. Die Regisseurin begnügt sich damit, Einblick zu nehmen und BegleiterInnen zu befragen: die Ehefrau, die Büroleiterin, den Freund, Jens Lehman als einen von Assauers „Jungs“, den Arzt, die Tochter Betty. Halt, doch: einmal schaut Assauer direkt in die Kamera – auf der panischen Suche nach Britta, seiner Frau. So bleibt es eigentlich immer eine voyeuristische Begleitung, die zudem noch aus dem Off die Eindrücke zusammenfasst. Die resignierte Frage Assauers "... was willst Du eigentlich noch?" bleibt unbeantwortet, auch wenn er selbst in anderen Szenen durchaus zu erkennen gibt, dass er „noch etwas will“ (freilich ohne zu wissen, was das sein könnte). Bezeichnend auch, dass der Beitrag des Arztes in der Beschreibung einer unerbittlichen Abwärtsspirale besteht, aus der kein Entrinnen möglich ist – also nichts mehr zu wollen .

Richard Taylor, der Alzheimer-Aktivist aus Texas, schreibt über die fatale Wirkung dieser Logik der Abwärtsspirale, die sich auf den neurodegenerativen Prozess stützt. Sie lähmt, drückt den Betroffenen zu Boden. Signalisiert pure Aussichtslosigkeit. Ja, es ist zutreffend: Alzheimer und andere primäre Demenzen leiten einen gewichtigen Veränderungsprozess ein, der sich nicht stoppen, geschweige denn rückgängig machen lässt. Aber muss das bedeuten, dass einem das Leben damit aus den Händen genommen ist und unaufhaltsam auf einer abschüssigen Bahn seinem Ende entgegen kriecht? 
Ebenso ist richtig, dass primäre Demenzen sich auch auf das persönliche Umfeld der betroffenen Person auswirken. Wir alle sind auf andere angewiesen, um diejenigen zu sein, die wir sind. Und deshalb ist es so unendlich bedeutsam, welche Haltung die betroffenen Personen dem Leben mit der Diagnose gegenüber entwickeln, welche Möglichkeiten sie ergreifen und ob und wie sie gemeinsam wachsen können. Jedes Leben ist endlich. Aber jedes Leben ist auch prinzipiell nach vorne offen, unbestimmt. Wichtiger als die Länge oder Kürze der Zeit, die noch vor einem Menschen liegt, ist diese Offenheit, die Chance, etwas aus dieser verbleibenden  Lebenszeit zu machen. Wer in der mit der Diagnose verknüpften Geschichte der unentrinnbaren Abwärtsspirale verfangen bleibt, dem bleiben die Türen für ein relativ gutes Leben auch mit einer Demenz verschlossen. 

Christian Zimmermann, der seit geraumer Zeit mit der Diagnose Alzheimer lebt und die mit ihr verbundenen Veränderungen am eigenen Leib erfährt, hat es auf den Punkt gebracht: „Du musst die Angst hinter Dir lassen – und auch die Hoffnung!“ (Die Hoffnung auf Heilung). Das ist keine geringe Anforderung an sich selbst – und auch das eigene Umfeld. Aber immer mehr Menschen, die mit einer Demenzdiagnose leben, entschließen sich, genau das zu tun und ihr Leben nicht aufzugeben.
Ein entscheidender Punkt dabei ist der, wie sich das weitere Umfeld hierzu stellt und einstellt. Welche Möglichkeiten für die Betroffenen und diejenigen, die sich um sie kümmern, vor Ort vorhanden sind. Die Transparente in der Schalke-Arena sind ein wichtiges Zeichen – nicht nur für Rudi Assauer. Hierauf aufbauend kommt es darauf an, die Unterstützung und Hilfen zur Selbsthilfe auszubauen, die man Betroffenen vor Ort bieten kann. Vielleicht könnte, im Falle Assauer, eine Sportgruppe Betroffener die Isolation durchbrechen. Oder jemand zusammen mit ihm eine solche Gruppe und die aktive Solidarität mit Menschen mit Demenz im Feld Fußball aufbauen. Und vielleicht kickt dann ja eine Bundesligamannschaft eines Tages nicht nur für das Gewinnen eines Pokals oder Titels, sondern für den von Aktion Demenz propagierten Weg zu menschenfreundlicheren Gemeinwesen, in denen Menschen mit Demenz dazugehören und ein gutes, mit Sinn und Freude am Tun erfülltes Leben führen können. 

Kommentare

Die medienwelt assauert

Die Berichterstattung von Rudi Assauer wirft hier in 32130 Enger ein geteiltes Echo auf, zum einen "der Macho der nun hiermit auch noch Geld verdienen möchte", und zum anderen "der arme Kerl"!!!!. Wie wird das andernorts gesehen?