Da stellst Du fest: Du kannst was!

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Das Kunstmuseum und die Bonner Altenhilfe gehen neue Wege — Menschen mit Demenz erleben Kunst

Ein Erfahrungsbericht von Sabina Leßmann und Daniel Lenartowski

Die Stadt Bonn besitzt eine außergewöhnliche Sammlung von Kunstwerken rheinischer Expressionisten und zeitgenössischer Kunst. Präsentiert wird sie durch das Kunstmuseum Bonn in einem wunderbaren Museumsbau. Das Kunstmuseum versteht sich als Ort der Entdeckung und Begegnung. Dabei steht die Kunst im Mittelpunkt der Präsentation, der Mensch als Betrachter jedoch im Zentrum der Aufmerksamkeit. 

Damit ist bereits die Aufgabenstellung angedeutet, der sich das Museum stellt: Die Kunstwerke sollen keineswegs lediglich bewahrt und ausgestellt, sondern einem möglichst breiten und damit äußerst vielfältigen Publikum vermittelt, näher gebracht werden. 

Veranstaltungen im Kunstmuseum Bonn

Die Palette der museumspädagogischen Angebote im Kunstmuseum Bonn reicht von Workshops mit Kindern ab vier Jahren bis hin zu solchen für Senioren. Einer der  Schwerpunkte liegt dabei auf barrierefreien Angeboten für Menschen mit Behinderungen. Im Rahmen dieser auf die speziellen Bedürfnisse solcher Gruppen abgestimmten Veranstaltungen finden seit dem Frühjahr 2011 monatliche Workshops mit demenziell veränderten Menschen statt. Um dieser Herausforderung gerecht zu werden haben sich drei Mitarbeiterinnen des Museums intensiv mit museumspädagogischen Ansätzen beschäftigt, sich mit Kolleginnen in anderen Städten ausgetauscht und fachspezifische Fortbildungen besucht.

Vernetzung und Kontinuität: Die Bonner Altenhilfe

Die Bonner Altenhilfe ist zentrale Anlaufstelle für alle Bürgerinnen und Bürger der Stadt in sämtlichen Angelegenheiten der kommunalen Altenhilfe. Die wichtigsten Arbeitsbereiche sind die umfassende Seniorenberatung und die Entwicklung neuer Projekte. Zudem ist das Haus zentrale Anlaufstelle für demenziell erkrankte Menschen und deren Angehörige.

Im Rahmen der Arbeit der Bonner Altenhilfe wurde die Idee entwickelt, in einer Art „Pilotprojekt“ zu prüfen, ob das neu konzipierte Workshop-Angebot des Bonner Kunstmuseums bei einer ausgewählten Gruppe teilstationär betreuter Menschen mit demenziellen Veränderungen „ankommt“. Im Fall eines positiven Ergebnisses sollte dann ein kontinuierliches Angebot für alle sechs in Bonn zu findenden Tagespflegeeinrichtungen entwickelt werden.

Unsere ersten Gäste: Haus Rosental

Die Tagespflege Haus Rosental ist eine teilstationäre Einrichtung mit dem Ziel, die Betreuung und Pflege von Senior/-innen mit zu gestalten, die nicht mehr in der Lage sind, ihr Leben alleine und selbstbestimmt zu organisieren. Bei über 75% der Gäste gibt es einen demenziellen Hintergrund mit unterschiedlicher Ausprägung.
In der Tagespflege wird großer Wert auf den Angebotscharakter sämtlicher Aktivitäten gelegt: Es steht jedem Gast frei, in den verschiedenen Angeboten wie Bewegungsrunde, Singen, Erzählkreis, Koch- oder Kreativangeboten mitzumachen.
Ein Projekt außerhalb der gewohnten Umgebung birgt besonders für Menschen mit Demenz das Risiko, eine Belastung zu werden. Wie sich im Laufe der Jahre zeigte, verunsicherten einige gut gemeinte Außer-Haus-Aktionen die Gäste mehr, als dass sie von ihnen angeregt wurden. Beobachtungen legten nahe, dass sich diese Tendenz mit der Zunahme von Gästen mit demenziellen Veränderungen verstärkte. Von daher war das Projekt durchaus ein „Abenteuer“ – sein Ausgang ungewiss.
Aus der Tagespflegegruppe wurden sieben Gäste ausgewählt, die von sich aus gerne mitmachen wollten oder auch motiviert wurden. Wichtig war außerdem der (gute) Kontakt zu den Angehörigen, da sich potentiell belastende Situationen in das häusliche Umfeld tragen.
Ausnahmslos alle Gäste zeigten sich von dem Erlebten positiv angetan. Nach den Besuchen sind sie vor allem emotional spürbar aufgefrischt. Obwohl sie sich zum Teil nicht konkret erinnern konnten, was sie im Museum gemacht hatten, blieb doch ein gutes Gefühl für die Aktion. Auf diese Weise konnten bereits nach einem Besuch die anfänglichen Zweifel überwunden werden. 

Hier ein paar Erfahrungen zu den unmittelbaren Auswirkungen der Kunst-Workshops auf die Bewohner: 

 Herr L. entwickelte über seine Erkrankung viele Ängste. Diese erschwerten es ihm zunehmend, sich inhaltlich auf Aktivitäten einzulassen. Auch seine Beweglichkeit schränkte sich zunehmend ein, so dass er Zweifel daran hegte, in der Lage zu sein. die Wege ins Museum und vor Ort zurücklegen zu können. Hinzu kam in Folge derb demenziellen Beeionträchtigungen die Befürchtung, motorisch ungeschickt zu sein und deshalb womöglich ausgelacht zu werden. Derartige Vorbehalte und Selbstzweifel gehören mittlerweile zu seinem Wesen, da der Kompetenzverlust sein Selbstwertgefühl stark beeinträchtigt.

Im Reflexionsgespräch äußerte sich Herr L. jedoch sehr positiv. Dies ist umso höher zu bewerten, da er sich im Alltag in der Tagespflege aufgrund seiner Ängste sehr bestimmt von vielen Aktionen fernhält. Die Wahrnehmung bezüglich der Qualität seiner kreativen Arbeit veränderte sich im Verlauf der Besuche. Wo er anfänglich noch alles schlecht machte, lässt er sich mittlerweile darauf ein, mit seinen Möglichkeiten zu arbeiten und findet über das Ergebnis anerkennende Worte.

 Frau E. hat in ihrer demenziellen Entwicklung ein stark beeinträchtigtes Kurzzeitgedächtnis. Viel Erlebtes ist innerhalb kurzer Zeit wieder verschwunden. Deshalb stellt sie manchmal dieselbe Frage in Minutenabständen immer wieder neu. Sie ist jedoch von ihrem Naturell neugierig und besitzt trotz ihrer Erkrankung ein gesundes Selbstbewusstsein. Trotz ihrer starken Sehbehinderung hat Frau L. sich sofort für das Kunstprojekt begeistert. Wie die Besuche zeigten, ist im künstlerischen Ausdruck keineswegs allein das Visuelle entscheidend. Beim Besuch der Ausstellung  und im kreativen Arbeiten ließ Frau E. sich von den Museumsmitarbeiterinnen gerne alles beschreiben und hat im Anschluss daran gemalt, geknetet und darüber gesprochen. Gerade bei ihr war das Erlebnis, etwas Eigenes zu produzieren, in der Nachbetrachtung besonders zu spüren.

 Herr R. hat sich in seinem Leben künstlerisch gerne betätigt, gezeichnet und gemalt. Er besaß selbst gestaltete Alben seiner Reiseerinnerungen, die er gerne vorzeigte und in denen sehr viel Leidenschaft für diese Fähigkeit zu erkennen war. Eine fortschreitende Parkinsonerkrankung mit demenzieller Veränderung machen Herrn R. zielgerichtete Bewegungen häufig unmöglich. Dies bringt Frustration und Enttäuschung für ihn mit sich, die er sich jedoch nicht anmerken lassen möchte. Herr R. ist weiterhin sehr unternehmungslustig. Positive Erfahrungen wie die im Museum helfen ihm dabei, mit seinen Möglichkeiten zu arbeiten. Dies bestätigte er auch in der Reflexion. Er freue sich immer riesig auf das Angebot.

Das Team des Museums gestaltete den Gästen einen sehr wohligen Rahmen. Das Konzept, ausgesuchte Objekte gemeinsam zu betrachten ließ die Gruppe zusammenrücken. Der Austausch war sehr wertschätzend und bot viel an positiver Motivation. Diese gab den älteren Menschen die Sicherheit, sich etwas zuzutrauen. Vorbereitung und Durchführung erfuhr das Betreuerteam als sehr einfühlsam, was auch für die Arbeit in der Tagespflege viele Anregungen und Denkanstöße bedeutete.

Im Workshop Erarbeitetes konnte mit nach Hause genommen und in einer Art Album gesammelt werden. So ist eine positive Erinnerung abrufbar. Auch wenn diese mit dem Verstand womöglich icht immer vollständig erfasst wird, so entfaltet sie doch auf der emotionalen Ebene ihre Wirkung.

Herzlich willkommen im Kunstmuseum!

Die Betrachtung von Kunst weckt alle Sinne, bestärkt Gefühle und lädt zu Gesprächen ein. Sie bringt unterschiedliche Geschmäcker zutage. Stimmungen und Erinnerungen können durch Bilder wachgerufen werden. Nichts ist richtig oder falsch, denn jeder Mensch schöpft aus seinem eigenen Erlebnisschatz. Dies macht die Begegnung mit Kunst zu einer vergnüglichen und therapeutisch bemerkenswerten Erfahrung.

Für eine angemessene Begrüßung, Gespräche vor den Kunstwerken, sinnliches Erleben von Materialien, sich anschließende Arbeit im Werkraum sowie für Schlussrunde und Verabschiedung steht genügend Zeit zur Verfügung. So erleben die Teilnehmer/innen, dass Bilder und Skulpturen durch die eigenen Fragen lebendig werden und mit ihnen selbst in enger Beziehung stehen. Auf die Äußerung „Da haben Sie aus dem Ton ja einen Kopf geformt“ greift sich der Gestalter an den eigenen Kopf und antwortet zufrieden lächelnd: „Ja, der ist noch da.“

Bei gemeinsamen Betrachtungen von Kunstwerken gibt es nie nur eine Meinung. Meinungsunterschiede werden geäußert und mitunter vehement verteidigt. Dieses Zusammenspiel aus Individualität, Differenz und Miteinander stellt einen besonders bereichernden Aspekt in den Veranstaltungen dar. Es gibt Kunsterfahrene, Skeptiker, Menschen, die vorher nie einen Pinsel in der Hand gehalten hatten und solche, die früher selbst kreativ tätig waren. Eine Teilnehmerin mit schwacher Sehkraft stellte beharrlich Fragen nach den Darstellungen und lässt sich beim anschließenden Malen die eigenen Farben und Formen erzählen. So ist sie in der Lage, sich mit Genuss eine reiche innere Bilderwelt zu schaffen.

Es wird „hart gearbeitet“, aber auch viel gelacht. Eine Teilnehmerin bringt es auf den Punkt: „Da stellst du fest: Du kannst `was!“

Es geht weiter!

Wir hoffen, dass in Zukunft viele Menschen mit demenzieller Veränderung in den Genuss der im Museum präsentierten Kunst kommen werden. Die Zeichen stehen gut: Der Rat der Stadt Bonn hat den freien Eintritt für museumspädagogische Veranstaltungen mit demenziell veränderten Menschen beschlossen. Das so gesetzte Signal ist unmissverständlich: Bonn bietet beste Voraussetzungen für Kultur und Lebensqualität. Zusammen mit vielen Partnern wird dieses Museumsprojekt weiter wachsen. Wir freuen uns auf viele Kooperationspartner!


Kontaktdaten: 

Dr. Sabina Leßmann, Kunstmuseum Bonn
sabina.lessmann(at)bonn.de

Daniel Lenartowski, Bonner Altenhilfe
daniel.lenartowsk(at)bonn.de