Unterwegs

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Irgendwann in diesem Herbst unterwegs in Sachen Aktion Demenz. Ziel ist die Gemeinde K., eine Kommune mit etwa zehn Teilorten. Wie ich lerne, alles in allem ca. 10 000 Seelen. Ländlicher Raum im Fränkischen. Die Schönheit der frühherbstlichen Landschaft teilt sich den Sinnen trotz des leicht verhangenen Tages ungefiltert mit.

Vor drei Tagen nochmals mit Frau D. telefoniert. Mit drei Mitstreitern habe sie ihr Senioren-Netzwerk begonnen, so habe ich am Telefon erfahren. Heute sind es 68. Ein Zusammenschluss von Menschen jenseits der 50, die in freiwilliger und unentgeltlicher Arbeit (wo etwas bezahlt wird, fließt der Erlös dem Verein zu) einen ganzen Strauß von Angeboten geschaffen haben. Seniorinnen und Senioren, die keine Möglichkeit haben, alleine zum Einkaufen zu gehen, können sich beispielsweise nach Vereinbarung abholen und begleiten lassen. Vereinsmitglieder kümmern sich individuell um unterstützungsbedürftige alte Menschen. Allen voran Frau D. In der Gemeinde kennt man sie. Sie ist diejenige, die angerufen wird, wenn es in einer Familie in Sachen Demenz brennt und man nicht weiter weiß. Frau D. hat auch Geschäfte, Behörden und andere Serviceleister in den Teilorten kontaktiert. Und ihnen eine Kompaktqualifizierung in Sachen Demenz angeboten. Das sei auf so große Resonanz gestoßen, erzählt sie, dass sie überlege, die Anmeldungen auf zwei Termine zu verteilen.

Etwa zwei Mal im Monat bietet das Senioren-Netzwerk eine Veranstaltung an. Häufig in Form eines Vortrags zu einem Thema, das für die älteren Mitbürgerinnen und Mitbürger Bedeutung haben könnte. Wohnberatung etwa. Heute bin ich dran. Wie besprochen weist die Ankündigung klar aus, dass es nicht um eine medizinische Betrachtung zum Thema Demenz gehen wird, sondern um eine soziale, bürgerschaftliche. Wie immer locken auch heute Kaffee und selbst gebackener Kuchen – kostenfrei und inklusive. Das schwierige, oftmals gemiedene Thema muss halt ein wenig „schmackhaft“ gemacht werden.

Alles ist liebevoll hergerichtet, die Leckereien stehen bereit und auch ich habe meine Siebensachen parat. Im Austausch nach dem Vortrag bekommen das Seniorennetzwerk wie auch der Ort und seine Lebens- und Alltagssituationen Kontur. Gekommen sind, neben ein paar professionell Befassten, vor allem Menschen, deren Leben vom Thema Demenz bereits gestreift wurde – mal sehr nah, mal mit ein wenig Abstand. Bei Vortragsveranstaltungen zu diesem und anderen „schwierigen“ Themen habe sie mit drei Teilnehmenden begonne, gesteht mir Frau D. später. Da zeugen die vielleicht dreißig, die an diesem Tag gekommen sind, von einem deutlichen Fortschritt. Demenz ist und bleibt ein dickes Brett, an dem wir weiter werden bohren müssen. Sysiphus lässt grüßen, trotz der spürbaren Veränderungen, die auch zu verzeichnen sind. Aber wir sind auf dem Weg. Auch und gerade in K.

Frau D. erzählt von ihrem großen Wunsch: eine Begegnungsstätte will sie aufbauen und betreiben. Nicht gleich mit täglichem Betrieb, sondern erst einmal ein paar Vor- oder Nachmittagen pro Woche. Sie denkt vorrangig an einen Ort, an dem Menschen mit und ohne Demenz willkommen sind. Und diejenigen mit Demenz gut, sehr gut aufgehoben sind, wenn die tagtäglich für sie sorgenden Angehörigen mal eine Auszeit brauchen. Ein paar Stunden nur für sich. (Vielleicht auch: wenn die demenziell veränderten Menschen einmal Abwechslung brauchen, etwas anderes erfahren als den ewig gleich ablaufenden Familienalltag. Das sehe ich jetzt als meinen Part – eine neue Botschaft zu vermitteln). Frau D. hat die freiwilligen Helferinnen und Helfer für das Projekt bereits zusammen. Was fehlt sind Räumlichkeiten. Und eine Zusage der Gemeinde, diese zu finanzieren mitsamt Wasser, Strom und sonstigen Nebenkosten. An der Stelle hakt es noch. Verständnis habe er schon, der Bürgermeister, meint Frau D. Und er habe auch in Aussicht gestellt, das Projekt zu unterstützen, so sich irgendwo Geldquellen auftun sollten. Andere finden deutlich skeptischere Worte gegenüber der Politik und jenen, „die nach 20 Uhr im Fernsehen große Reden schwingen“. Frau D. will sich ihren Optimismus nicht nehmen lassen. Später, unter vier Augen, meint sie, falls die erhoffte Unterstützung noch Jahre auf sich warten lasse, könnte es für sie zu spät sein: “Wer weiß, wie viel ich dann noch schaffen kann?“

Im Zug auf der Heimreise. Zeit, die vielen Eindrücke Revue passieren zu lassen. Ja, tatsächlich, es gibt sie hier und dort bereits, die „Netze der Freundschaft“, die wir, so Reimer Gronemeyer, wieder und neu knüpfen müssen. Es gibt sie, die Gruppen insbesondere Älterer, die sich aufmachen, um sich freiwillig und unentgeltlich für ihresgleichen zu engagieren. Woran es hakt ist im Fall K. wohl das Erkennen auf kommunalpolitischer Seite, dass das Thema jetzt, ja JETZT angepackt werden muss. Was fehlt ist ein Gespür dafür, dass hier ein echter Schatz vorhanden, zum Greifen nah ist. Ein Schimmer davon, dass der Kommune hier eine unendlich wertvoller, bei angewandter Wertschätzung sich immer wieder auffüllender Schatz oder, Neudeutsch, eine wertvolle und nachwachsende Ressource zur Verfügung steht, mit dem man den vorhandenen und sich vergrößernden Herausforderungen eines beeinträchtigten Alterns konstruktiv begegnen kann. Es sitzt tief, das Misstrauen gegenüber denen, die „nach 20 Uhr die großen Sprüche im Fernsehen klopfen.“ Gut nachvollziehbar und auch nicht zu Unrecht. Bleiben wir misstrauisch –  aber trauen wir uns nach vorne!