Deutscher Ethikrat: Selbstbestimmung Demenzbetroffener achten und bewahren

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Ort: 
Berlin

Der Deutsche Ethikrat will zu einem besseren Verständnis der Situation von Menschen mit Demenz beitragen und Empfehlungen geben, um einen achtsameren und die Selbstbestimmung wahrenden Umgang mit den Betroffenen zu fördern. In seiner umfangreichen Stellungnahme "Demenz und Selbstbestimmung", die jetzt in Berlin vorgestellt wurde, hat der Ethikrat insgesamt 16 Empfehlungen erarbeitet, von denen die wichtigsten im Folgenden kurz vorgestellt werden. Nähere Erläuterungen und die Stellungnahme sind nachzulesen unter: http://www.ethikrat.org/presse/pressemitteilungen/2012/pressemitteilung-04-2012

 
Die Selbstbestimmung gehört wesentlich zum Selbstverständnis des Menschen und ist ein zentraler Bezugspunkt ethischer Diskurse. Bislang standen zumeist nur die mit Demenz verbundenen Defizite im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Wird der Mensch mit seiner geistigen Leistung gleichgesetzt, so muss Demenz als Zerstörung des Menschen erscheinen. Wird er aber nicht nur als denkendes, sondern auch als empfindendes, emotionales und soziales Wesen verstanden, kann sich der Blick leichter auf die jeweils noch vorhandenen Ressourcen richten. Diese Blickrichtung liegt der Stellungnahme des Deutschen Ethikrates zugrunde, deren Anliegen es ist, deutlich zu machen, dass auch Menschen mit Demenz noch Möglichkeiten zur Selbstbestimmung haben, die wahrgenommen und unterstützt werden sollten. [...]
 
- Der Deutsche Ethikrat bestärkt die Bundesregierung in der Absicht, einen Nationalen Aktionsplan Demenz zu entwickeln, um das Vorgehen aller Akteure zur flächendeckenden Verbesserung der medizinischen, pflegerischen und sozialen Versorgung Demenzbetroffener zu koordinieren. Dadurch soll die gesellschaftliche Inklusion von Menschen mit Demenz verstärkt und ihr Anspruch auf Selbstbestimmung anerkannt werden.
 
- Bei einer Neufassung des Begriffs der Pflegebedürftigkeit sollten die Selbstbestimmungsmöglichkeiten von Menschen mit Demenz und die daraus folgenden Aufgaben der Pflege ausreichend berücksichtigt werden.
 
- Die Arbeit pflegender Angehöriger bedarf wirksamer Unterstützung und finanzieller Anerkennung. Es sollte geprüft werden, ob die aus der häuslichen Pflege vertrauten Personen einen Dementen auch im Krankenhaus betreuen können.
 
- Ambulant betreute Haus- und Wohngemeinschaften für Menschen mit Demenz sollten finanziell stärker gefördert werden. Dazu zählen insbesondere wohnortnahe Wohn-Pflege-Gemeinschaften, die einen die Selbstbestimmung ermöglichenden Rahmen schaffen und in denen professionell Pflegende und Angehörige zusammenarbeiten.
 
- Die Forschungsförderung im Bereich der Demenz sollte sich bei der Grundlagenforschung im Sinne translationaler Forschung auf die klinische Anwendung hin orientieren. Darüber hinaus sollte sie klinisch- medizinische, psychosoziale und pflegewissenschaftliche Aspekte sowie die ethisch-rechtliche Begleitforschung und die Versorgungsforschung umfassen.
 
- Um die Selbstbestimmungsmöglichkeiten demenzbetroffener Menschen zu wahren und zu schützen, sollten die Grundsätze der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, die auch für Demenzbetroffene gelten, konsequent zur Anwendung kommen.
 
- Die Bereitschaft Angehöriger zur Übernahme ehrenamtlicher Betreuungen sollte durch praktische Unterstützung während der Betreuung und durch gesellschaftliche Wertschätzung gestärkt werden.
 
- Bei der Prüfung der aktuellen Anwendbarkeit einer Patientenverfügung sind Äußerungen des Lebenswillens entscheidungsunfähiger Patienten einzubeziehen. In Fällen, in denen die Entscheidungsfähigkeit nicht sicher ausgeschlossen werden kann, ist wegen der Unumkehrbarkeit lebensbeendender Maßnahmen lebensbejahenden Bekundungen stets der Vorrang vor einer anders lautenden Patientenverfügung zu geben.
 
In einem Sondervotum hat Ratsmitglied Volker Gerhardt seine Bedenken bezüglich zweier Aspekte dargelegt. Dies betrifft zum einen den mit dem zunehmenden Verlust der Selbstbestimmung einhergehenden unwiderruflichen Verlust der Persönlichkeit, der nicht verharmlost werden darf. Zum anderen stellt sich die Frage eines Suizidwunsches, der aufgrund der Selbstbestimmungsproblematik bei der Demenz in besonderer Weise eine Rolle spielt.